Hintergründe Nach dem Wirtschaftswunder der 1950er Jahre in der Bundesrepublik und der mangelhaften Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wuchs in den 1960ern eine Generation heran, die das Verhalten ihrer Eltern während des Nationalsozialismus und deren Staat grundsätzlich in Frage stellte. Verstärkt durch den Vietnamkrieg und die gesellschaftlichen Veränderungen in den Vereinigten Staaten wuchs die Kritik an den USA. In den großen Universitätsstädten Westeuropas kam es zu großen antiamerikanischen Demonstrationen und zu zivilem Ungehorsam der Studenten. Alternative Lebensformen entstanden und "das Establishment" wurde stets provoziert. Die zahlreichen Widersprüche der Zeit und die unbeholfenen, teils gewalttätigen Reaktionen der Regierungen auf die Rebellion führten zu einer Radikalisierung der gesamten Bewegung, die jedoch in ihrer Gesamtheit friedlich blieb. Die RAF verstand sich internationalistisch als Avantgarde einer "Weltrevolution" und definierte Gerechtigkeit international. Die USA beuteten die Dritte Welt aus, weshalb "geschossen werden" dürfe (Meinhof). Nur die erste Generation konnte sich mit dieser Definition tatsächlich auf eine relevante Minorität der Gesellschaft berufen, die sich in mittelgroßen Unterstützungsaktionen und einer weitverzweigten, halblegalen Unterstützer-Logistik Rote Hilfe äußerte. Auch die eindrucksvolle Verteidigerliste der ersten Generation ist ein Indiz dafür. Die zweite Generation hatte aufgrund der gesellschaftlich als unverhältnismäßig und brutal empfundenen Terrorakte diese Basis vollständig verloren und operierte als radikale Terrorgruppe fernab der Gesellschaft. Nach ihren schriftlichen Hinterlassenschaften (v. a. der ersten Generation) lässt sich die RAF ursprünglich als eine radikalisierte revolutionär-sozialistische Gruppierung einstufen. Sie setzte sich stark mit dem Neomarxismus der „Frankfurter Schule“ auseinander und bezog sich auch auf diesen, obgleich die Vertreter dieser Richtung sich entschieden vom Terrorismus distanzierten. In ihren Schriften beziehen sie sich teilweise auch auf marxistisch-leninistische Theorien; es lassen sich maoistische Tendenzen nachweisen. Die RAF wurde daher auch als „terroristische Neomarxisten“ bezeichnet. Die heutige Forschung sieht dies jedoch als eine zu kurz greifende Einschätzung. Die Studentenbewegung Die RAF war erkennbar von erklärtem Hass gegenüber dem „System“, dem Staatsapparat der Bundesrepublik Deutschland, erfüllt. Sie unterstellte den westlich-europäischen Gesellschaften, wie schon die studentische APO vor ihr, faschistoide Tendenzen und klagte insbesondere die nicht „aufgearbeitete“, „wiedergutgemachte“ und immer noch wirkende nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands an. Die erste Generation (Baader-Meinhof-Gruppe) und darin vor allem die frühere Journalistin Ulrike Meinhof entwickelten für ihre „revolutionäre“ Radikalität eine linksextrem-intellektuelle Theorie, die teilweise von überraschender Klarheit zeugt, dennoch ideologisch überzeichnet ist. Selbst linke „außerparlamentarische Intellektuelle“ der damaligen Zeit, wie z.B. Rudi Dutschke vermochten die radikalisierte Theorie und terroristische Praxis nicht zu teilen. In seinen Tagebüchern sprach Dutschke von „RAF-Dummheit“ (30. November 1974) und sagte: Die negativen Auswirkungen der RAF-Scheiße sind vielerorts erkennbar, CDU/CSU im besonderen, Regierung im allgemeinen und RAF-Kacke im einzelnen scheinen verheiratet zu sein: um den politischen Klassenkampf zu hemmen!! (1. Dezember 1974) Die RAF-Schriften/-Positionen wurden (wegen der Verbrechen der RAF, aber auch wegen ihres schwer verdaulichen Jargons und der teilweise wirren Inhalte ihrer Verlautbarungen) in der breiten Öffentlichkeit nicht diskutiert. Zu größeren Teilen galt dies jedoch auch für die differenzierteren kritischen Meinungsäußerungen (beispielsweise: Daniel Cohn-Bendit in einer Fernseh-Diskussion über Hanns-Martin Schleyer; der Göttinger Mescalero über das Buback-Attentat). Diese wurden ebenfalls nicht als ernst zu nehmender Beitrag zum politischen Diskurs gesehen und in der öffentlichen Diskussion nicht differenziert von den Schriften der RAF behandelt, sondern zuweilen sogar als Positionen von „Sympathisanten“ der Terroristen diskreditiert. Dass vielfach vonseiten linker Intellektueller eine klare Verurteilung der Terrorakte unterblieb, trug hierzu bei. Chronik zur RAF Vorgeschichte Vorgeschichte und Geschichte der RAF reichen von den Studentenunruhen bis hin zur selbsterklärten Auflösung 1998. Als am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg während einer Demonstration von einem Polizisten getötet wurde, war dies in gewisser Weise das Signal zur Eskalation der Gewalt. Vor allem die erste Generation der RAF ging aus dem militanten Flügel der Außerparlamentarischen Opposition (APO) hervor, die am Ende der 1960er Jahre in verschiedene linke Gruppierungen und kommunistische Splitterparteien (K-Gruppen) zerfiel. Nach den in der Studentenbewegung geführten Strategiediskussionen um die Legitimation von „Gewalt gegen Sachen“ hatten Baader und Ensslin zusammen mit Thorwald Proll und Horst Söhnlein am 2. April 1968 gegen Mitternacht mit Hilfe von Zeitzündern Brände in zwei Frankfurter Kaufhäusern gelegt, um gegen den Krieg der USA in Vietnam zu protestieren. Die Brände verursachten einen Schaden von insgesamt 700.000 Mark. Die Brandstifter wurden schon am 4. April gefasst und in Folge zu je drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Prozess war schon damals umstritten und wird heute mindestens als weiterer Antrieb in den terroristischen Untergrund angesehen. Obwohl bei den Bränden nur Sachschaden an der Einrichtung, jedoch nicht an den Gebäuden entstand und die Kaufhäuser, wenn auch aus ungeklärten Gründen, nicht einmal ihr Recht wahrnahmen, Strafantrag zu stellen, klagte Staatsanwalt Walter Griebel wegen schwerer Brandstiftung an, ein Tatbestand, der neben Brandstiftung an Gottes- und Wohnhäusern „Räumlichkeiten“ umfasste, in denen sich zur Zeit der Brandstiftung „Menschen aufzuhalten pflegen“. Die Begründung für den mitternächtlichen Aufenthalt von Menschen fasste der Staatsanwalt in dem Satz „Das weiß doch jeder, dass sich nachts in Kaufhäusern Menschen aufhalten“ zusammen und legte wegen des nicht eingetretenen Brandes von Gebäudeteilen weiter nach, „schließlich hätte die ganze Frankfurter Innenstadt abbrennen können!“. In einem Artikel vom 8. November 1968 nannte Uwe Nettelbeck in der Zeit den Prozess „eine Veranstaltung [..], in der sich die Gewaltenteilung als eine Verteilung der Aufgabe darstellte, die zum Schutz der herrschenden Ordnung notwendige Gewalt auszuüben“ und meinte, Staatsanwalt Griebel hätte sich in einer „außerordentlich freien Beweiswürdigung“ selbst als „rechter Feuerteufel“ erwiesen („recht“ im Sinne von ziemlich). Nachdem die Revision des Urteils durch den Bundesgerichtshof beantragt worden war, kamen die Verurteilten zunächst auf freien Fuß. Nach Ablehnung des Antrags tauchten Baader und Ensslin unter und beschlossen zusammen mit ihrem Anwalt Horst Mahler die Gründung einer „Stadtguerilla“-Truppe nach lateinamerikanischem Vorbild (vgl. Minihandbuch des Stadtguerilleros von Carlos Marighella sowie die Fokustheorie von Che Guevara und Régis Debray). Dieser Plan wurde jedoch durch die Verhaftung Andreas Baaders, des führenden Mitglieds der Gruppe, durchkreuzt. Als die erste Aktion der damals noch namenlosen RAF wird heute die anschließende Befreiung Baaders angesehen. Diese fand am 14. Mai 1970 statt. Andreas Baader war ins Berliner Institut für Soziale Fragen ausgeführt worden, weil die Journalistin Ulrike Meinhof als Vorwand angegeben hatte, mit ihm ein Buch über Heimzöglinge verfassen zu wollen. Bei dieser Gelegenheit wurde er unter Anwendung von Waffengewalt befreit. Dabei wurde der Institutsangestellte Georg Linke durch einen Schuss schwer verletzt. In der Aufbauphase zog die Gruppe die Aufmerksamkeit des Staates zunächst durch mehrere Banküberfälle, Fahrzeug- und Dokumentendiebstähle auf sich und trat im April 1971 mit dem Strategiepapier Das Konzept Stadtguerilla [1] an die Öffentlichkeit. Kurz darauf wurde eine bundesweite Fahndung nach den mittlerweile etwa fünfzig Gruppenmitgliedern gestartet. Auch wenn in der Literatur teilweise die Frankfurter Kaufhausbrandanschläge als Beginn der Roten Armee Fraktion diskutiert werden, wird zumeist die Baader-Befreiung als eigentlicher Gründungszeitpunkt der Gruppe angenommen. Dies entsprach auch dem Selbstverständnis der RAF. Auflösung der RAF Am 20. April 1998 ging beim BKA in Wiesbaden ein achtseitiges, als authentisch eingestuftes Schreiben ein, in dem die RAF ihre Selbstauflösung verkündete. Darin heißt es: Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF. Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte.[2] Die Erklärung endet mit dem Gedenken an die Verstorbenen, einer Liste von 26 Namen aus der Bewegung 2. Juni, der Revolutionären Zellen und der RAF selbst. Den Schlußpunkt bildet ein auch im Bericht des Verfassungsschutzes 1998 erwähntes Zitat von Rosa Luxemburg: Die Revolution sagt: ich war ich bin ich werde sein |