>>Game Over<<
Ich habe mal gelesen, das meistverstandene Wort auf der ganzen Welt ist -okay-, gefolgt von -Coke-. Ich glaube, man sollte diese Untersuchung noch mal machen, und zwar mit besonderem Augenmerk auf >>Game over<<.
Game over ist mein Lieblingsding bei Videospielen. Eigentlich sollte ich das präzisieren. Mein Lieblingsding ist der Sekundenbruchteil vor dem >>Game over<<.
Leo und Theo spielen Streetfighter II. Leo übernimmt Ryu, weil er ein guter Allroundfighter ist: erstklassige Verteidigungsschläge, ziemlich schnell, und wenn er einmal in die Offensive geht, ist er nicht aufzuhalten. Theo übernimmt Blanka. Blanka ist schneller als Ryu, aber richtig gut ist er nur im Angriff. Um mit Blanka zu gewinnen, muß man dem anderen Spieler auf die Pelle rücken und einfach nicht mehr nachlassen. Kicksprünge, Beinschwünge, Kreiselattacken, Kopfstöße. Mach sie fertig, bis sie knien.
Beide Spieler haben ihre Energiebalken praktisch aufgebraucht. Noch ein Treffer, und sie sind erledigt, und deshalb sind sie vorsichtig. Sie drücken sich an den gegenüberliegenden Seiten des Bildschirms herum, und jeder wartet darauf, dass der andere den ersten Schritt macht. Leo ergreift die Initiative. Er schickt einen Feuerball los, um Theo zum Blockieren zu zwingen, und setzt dann mit einem Kicksprung hinterher , um Blanka seinen grünen Kopf abzureißen. Aber während er durch die Luft fliegt, hört er ein leises Tippen. Theo tippt auf die Drucktaste an seiner Steuerung; er lädt einen Elektrizitätsschild auf, und wenn Ryus Fuß in Kontakt mit Blankas Kopf kommt, wird Ryu derjenige sein, dem 10 000 Volt durchs System knallen, dass er k.o. geht.
Das ist der Sekundenbruchteil vor dem >>Game over<<.
Leo hat das Geräusch gehört. Er weiß, er ist im Arsch. Er kann gerade noch hervorstoßen: "Ich bin Toast", bevor Ryu aufstrahlt und rückwärts über den Bildschirm geschleudert wird, leuchtend wie ein Weihnachtsbaum, ein verkohltes Skelett. Toast.
Dieser Sekundenbruchteil ist der Augenblick, in dem man begreift, dass man gleich sterben wird. Die Leute reagieren unterschiedlich darauf. Manche fluchen und toben. Manche japsen und seufzen. Manche schreien. Ich habe eine Menge Schreie gehört im laufe der vierzehn Jahre, die ich nach Videospielen süchtig bin.
Ich bin sicher, dieser Moment liefert einen seltenen Einblick in die Art, wie Leute reagieren, bevor sie tatsächlich sterben. Was da von dem Spiel angezapft wird, ist rein und jenseits aller Schauspielerei. Als Leo das Tippen hört, platzt es aus ihm heraus: \"ich bin Toast\". Er sagt es schnell, erfüllt von Resignation und Einsicht. Wenn er auf der Autobahn wäre und sähe, wie ein Wagen ihm frontal entgegen geschleudert kommt, würde er, glaube ich, genauso reagieren .
Ich persönlich neige zum Toben. Ich schmeiße meinen Controller durchs Zimmer, kneife die Augen zusammen, lege den Kopf in den Nacken, und ein Strom von Flüchen ergießt sich aus meinem Munde.
>>Game over<< |